Na toll, im feinen Restaurant durfte ich nicht Platz nehmen, man schickte mich in die Küche, außerhalb des Blickfeldes der anderen Gäste. Kleiderordnung? Fragwürdige Hauspolitik? Mitnichten. Ich hatte den besten Platz.
Nach dem Eintreten wurde der Name im Reservierungsbuch geprüft und mit einem Grinsen wurden wir begrüsst: „Ah, die Gäste aus Berlin? Sie hatten sich für den Küchentisch interessiert. Nun, wir haben da eine gute Nachricht….“
Neben dem gediegenen Ambiente des Restaurants, (oberschenkeldicke Verschwiegenheitsteppiche, die jedes Geräusch schlucken, dezente Beleuchtung. Die amerikanische Variante von ernsthaft-gediegen mit einer kleinen Prise Design. Es riecht teuer) gibt es einen einzigen Tisch mit erhöhtem Spaß- und Genußfaktor – eben in der Küche. Der „Kitchen Table“ (langfristige Reservierung ratsam), der normalerweise nicht für nur zwei Gäste freigegeben wird, also Glück gehabt. Man sitzt mitten im Geschehen, betrachtet die Abläufe, das Abschmecken und die Hektik, bis die einzelnen Teller (jeder wird genau geprüft) die Küchenräume verlassen. Hier wird gelacht, geschimpft, gegessen.
Seit 1987 gibt es diesen kulinarischen Tempel in Uptown Chicago. In der Zwischenzeit ist Mr. Trotter ein gefeierter Fernsehstar, verkauft zahlreiche Kochbücher und wird mit Lob und Auszeichnungen überschüttet. Bei meinem Besuch war er nicht im Hause, sondern bestimmt obermegawichtig unterwegs, Präsidenten bekochen, oder so. Dem Vergnügen tat seine Abwesenheit keinen Abbruch.
Der Kitchen Table bekommt so ziemlich jeden Gang zu verkosten, der die Küche verlässt. Das waren dann so ca. 16 Gänge plus diverse Grüsse und Kleinigkeiten. Verführerisch und überraschend die Geschmacksnuancen und Zusammenstellungen: Artischockensuppe mit Honig und Minze; Washu-gyu Rind mit fermentiertem schwarzen Knoblauch; Roquefort mit Quitten und Sauternes Gelee; Austern mit Schweinebauch. Karamellisierter Pfirsich mit Mandeln auf Pedro Ximenez Sud. Verrücktes Zeug. Ein Gang war toll, ich kann ihn aber nicht aussprechen, geschweige denn übersetzen: Michigan Heirloom Tomatoes with Fava Beans and Chervil.
Wir durften Fragen stellen. Alles wurde geduldig erklärt und gezeigt. „Wollt ihr mithelfen?“ Na klar. Also: ran an den Herd.
Die Küchenkünstler freuten sich über unser Interesse.
Hin und wieder wurden andere Gäste in die Küche geführt und warfen neidvolle Blicke und entsprechende Kommentare zu unserem Tisch.
Dieser Abend war ein einmaliges Erlebnis. Mit herrlichem und ungewöhnlichem Essen, sympathischer Betreuung und dem aufregenden Tisch im Auge des Orkan.
Der Preis? Nun, für das Geld haben wir sechs einfache Übernachtungen in NYC bekommen. Meine Seele gehört nun Mastercard.
West Armitage 816, 60614 Chicago