Heute fand ich den Ort der ultimativen Trübseligkeit. Unglücklicherweise liegt er beinahe vor meiner Haustür.
Meine Laune als fröhlicher Wandersmann durch die Strassen der Hauptstadt erreichte einen jähen Tiefpunkt bei dem Durchmessen des Fußgängerzonenabschnitts der Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg. Angeblich soll es sich bei den dortigen Aufbauten nicht nur um einen Weihnachtsmarkt handeln, sondern sogar um einen „Wintertraum Weihnachtsmarkt“ (so der Veranstalter). Immerhin verspricht er „beheizte Toiletten und verkleidete Müllbehälter.“
Die Fußgängerzone ist immer mal wieder Schauplatz von traurigen Veranstaltungen nach dem Prinzip: Wir stellen ein paar Verkaufs- und Imbissbuden hin und denken uns schnell irgendein Motto aus, für das sich ein Sponsor findet. Die Geschäftsleute entlang der Wilmersdorfer Straße unterstützen gerne diese Projekte. Listig grinsen sie, da sie zurecht annehmen dürfen, dass die grauenvolle Wegelagerei die Kunden noch schneller als sonst in ihre Geschäfte treibt.
Im Mai 2009 gab es daher beispielsweise das „Singha Asien Kulturfest“, der vermutlich bei zahlreichen asiatischen Mitbürger eine Identitätskrise ausgelöst haben dürfte. Ob es zu diplomatischen Nachwirkung kam, ist mir nicht bekannt. Immerhin gab es Bratwurst. Mit Curry….
Das Motto in diesen Tagen lautet überraschender Weise „Weihnachten“. Neben dem Wintertraum finden sich jedoch weitere Werbeparolen, mit denen die Veranstaltung beworben wird. Das Stadtmagazin zitty ist anscheinend mit von der Partie und preist den „Kultur Weihnachtsmarkt“ an und auf berlin.de ist zusätzlich von dem Event „Berlin lacht“ die Rede.
Berlin weint würde es treffender beschreiben. Heulende Kinder zeigen unglücklich auf den Weihnachtsbaum (in dem ein triefend-nasser Teddybär unglücklich stranguliert wirkt) und schauen verängstigt drein. Für den lachenden Weihnachtskulturtraum wurde der rheinischer Künstler Odo Rumpf gewonnen, der den Passanten die jahreszeitliche Besinnlichkeit in Form eines Weihnachtsbaum-Kunstwerkes aus Industrie-Fundstücken beschert.
Gegenüber wird Pony-Reiten angeboten, aber die Steppkes möchten nur fort von dem eisernen Ungetüm. Die Ponys wirken ebenfalls einigermaßen entgeistert.
Kunst, Kritik, Konsumbedenklichkeiten, Recycling – alles berechtigt. Aber so? Da lade ich mir doch lieber die farbenfrohe und eisern-fröhliche Gesangsgruppe „Iron Maiden“ (=die Büglerin oder so…) ein, mit stimmungsvollem vorweihnachtlichem Liedgut, wie The sun don’t shine – On the sea of madness. Tatsächlich regnete es in der Wilmersdorfer Straße.
Bis zum 30.12. ist eine Ortsbegehung unter den geschilderten Rahmenbedingungen möglich.
Nachtrag! Weil die Inszenierung des Nächtens doch noch einmal anders zur Geltung kommt:
Jetzt habe ich ihn nochmal bei Dunkelheit gesehen. Und begriffen! (Siehe ergänztes Bild, oben.)
Das ist wirklich Endzeit pur. Irgendwo zwischen Klapperschlange und Mad Max feuerspeit das Objekt ein entsinnliches Ende.
(In diesem Falle eben von 2009.)
… „beheizte Toiletten und verkleidete Müllbehälter.“
Naja. Andersrum wäre es auch unpraktisch.
Aber das Stoppschild im „Baum“, das hängt da doch richtig gut.
Sei stark! Alles wird gut.
Als was haben sich die Mülltonnen denn verkleidet? Als ready-mades?
Zum Thema Weihnachtsmarkt empfehle ich ansonsten Max Golds Aufsatz: „Vom Charme des Seitlich-dran-Vorbeigehens“,,,
Neulich las ich, dass Berlin in dieser Weihnachtssaison auf 200 Weihnachtsmärkte kommt.
Nun können wir eine Abstimmung für den erbärmlichsten initiieren.
Mein Votum stünde wohl fest, dennoch Dank für den heißen Tipp. Wer hätte gedacht, dass man am Gesundbrunnencenter Tristesse erwarten könnte? 😉
Als ich neu nach Berlin kam, war ich echt geschockt von den meisten Weihnachtsmärkten, dabei gab es noch bei weitem nicht so viele wie heute. Aber da sind schon einige richtig schlimm. Falls Dir mal wieder nach absoluter Tristesse ist, lieber Eichi, kann ich auch den Weihnachtsmarkt vor dem Gesundbrunnencenter wärmstens empfehlen.
der schönste ist immer noch der winterzauber auf dem gendarmenmarkt.
ich gebe zu, daß diese meinung weitestgehend auf dem dort erhältlichen rahmbrot basiert. mmmmmmmrahmbrot.
den industriebaum finde ich gar nicht so schlecht. aber ich bin ja auch kein kind.
Sind nicht irgendwie die meisten dieser Weihnachtsmärkte eher ein Trauerspiel? Aber dieser scheint den Vogel abgeschossen zu haben.
Da stimme ich zu. Die Wilmersdorfer hat gewonnen mit dem Umbau und den neuen Geschäften (auch in den Seitenstrassen). Allerdings bleibe ich auch zukünftig misstrauisch, wenn die Gewerbetreibenden wieder einmal unglaublich spannende Kulturveranstaltungen ankündigen.
Übrigens: Kompliment für Deinen schönen Blog. Ich muss ganz bald mal das Cole Slaw Rezept ausprobieren.
Hehe, Du willst es Dir also wirklich antun?!
Ich scherze nicht: Die Kinderchen haben tatsächlich jämmerlich geheult. 😦
Danke für die tröstlichen Worte. Geteiltes Leid bleibt halbes Leid.
Oh, das ist ja grausam. So einen häßlichen Baum habe ich ja noch nie gesehen. Ich finde, dass die Wilmersdorfer Str. in den letzten Jahren echt ganz nett geworden ist, aber damit haben die Veranstalter echt den Vogel abgeschossen.
ohje das macht definitv keine Lust auf Weihnachten. Die armen Kinder und von einem Weihnachtstraum ist auch nichts zu sehen. Wo sind all die Lichter die doch Weihnachten ausmachen? Die schönen Buden und die herrlichen Gerüche? Der Baum der in der Mitte des Marktes steht groß und kräftig? Nee danke bevor ich mich auf den Markt begebe bleibe ich zu Hause oder fahre woanders hin. Morgen werde ich mir das mal anschauen 😉
Lieben Gruß
Sascha
So, Herr Rumpf ist nun also in Berlin gelandet, nachdem der Niederrhein schon flächendeckend spaßverschrottet ist. Aber vielleicht ist das auch nur die Müllbehälterverkleidung?
Das versöhnt sich beinahe wieder mit dem Duisburger Weihnachtsgedönsmarkt, dem Xantener Qualitätsweihnachtsmarkt und dem Moyländer Kreativweihnachtsmarkt. Wie Deinem Bericht zu entnehmen ist, geht es immer noch ein bisschen schlimmer.