Born to drink European

Sonnenuntergang über Berlin. Welchen wundervollen Ort wollen wir heute aufsuchen, um dem Szenario beizuwohnen? Lietzenseepark? Hoppetosse? Warschauer Brücke? Nein, heute soll es der Kreuzberg sein. Rasch noch eine Flasche Rotwein eingesteckt, damit es ein doppelter Genuss wird.

Belle Alliance - Mein Wein und ich

Belle Alliance - Mein Wein und ich

Oben angekommen zeigt sich schnell, diese Idee hatten außer uns nur ungefähr acht Dutzend andere Leute. Sie alle blicken romantisch seufzend gen Westen, allerdings nicht ohne vorher eine Flasche Wein, Bier, Limonade oder ein TetraPak mit gruseligem Inhalt – „Wein aus verschiedenen Europäischen Anbaugebieten“ – geöffnet zu haben.

Ab und an gesellen sich US-amerikanische Berlinbesucher dazu und erfahren so die getränketechnische Überlegenheit der alten Welt. Weil: Das ginge in USA so überhaupt gar nicht. Alkoholische Getränke in der Open-Air-Öffentlichkeit zu konsumieren ist dort ein Fall für den Staatsanwalt.

Beispiel New York. Neulich auf der Uferpromenade von Roosevelt Island. Ein cop  hat sich  bedrohlich vor einem älteren Mann aufgebaut, Hand an seinem Pistolenholster, breitbeinig. Wer ist der Mann? Mafia? Ein obszöner Entblößer? Ein Verwandter von Bin Laden? Nein, der eingeschüchterte Mitt-Sechziger entpuppt sich als niederländischer Tourist, der sich auf eine der Bänke am Ufer gesetzt hat – mit einer Dose BIER!

Wer nun meint, im Inneren von Lokalen wäre man sicher vor durstspezifischen Regularien, irrt. Vor allem am Sonntag Vormittag. Ganz New York geht heute zum traditionellen Brunch. Anders als bei uns hat Brunch dort nichts mit Buffet und all-you-can-eat zu tun, sondern ist im Wesentlichen ein ganz normales Frühstück, bei dem man lediglich länger in der Warteschlange vor dem Lokal verweilt, als zum essen darin. Nun haben die Amerikaner eine beneidenswert üppige Frühstückskultur (Eier auf 1001ne Art, Pancakes, Refill Coffee, Würstchen und Bacon, etc.) zu der sich originelle Variationen von Bloody Mary gesellen. Nur: Der Konsum derselben ist Sonntags vor 12 Uhr nicht gestattet. Es muß mein europäisches ich sein, welches ausgerechnet in New York, unbedingt jetzt, vor 12 Uhr,  eine Bloody Mary oder ein Glas Prosecco konsumieren möchte. Nix da!

Unglaublich unlustig rühre ich kurze Zeit später mit einer Selleriestange in einem Glas Tomatensaft herum. „Selbstverständlich können Sie gerne die alkoholfreie Version unseres Bloody Mary bestellen….“ verkündet der Kellner amerikanisch-heiter. Im Nachhinein kommt mir sein Lächeln ziemlich zynisch vor.

Beim Bummel durch einen Park in Brooklyn stoße ich auf weitere trinkrelevante Ermahnungen:

Kannte ich diesen Slogan nicht irgendwie anders?

Kannte ich diesen Slogan nicht irgendwie anders?

Und dann kam der Moment, an dem ich selbst so gerne zum Outlaw geworden wäre. Eichi Dillinger, der Eichinator oder Eichi the Kid. Sie alle hätten in diesem Moment gnadenlos ein Kellnerbesteck gezückt und ohne Mitleid die Weinflasche entkorkt. Brooklyn Heights, Sonnenuntergang, Uferpromenade und ein Blick auf die beleuchtete Skyline von Manhattan.

Doof: Poland Springs statt Napa Valley

Doof: Poland Springs statt Napa Valley

Wenn nicht hier und jetzt….aber da kommt schon der nächste Ordnungshüter mit entschlossenem Schritt und bedrohlicher Aura dahermarschiert. Ich verzichte feige aufs entkorken und sehne mich genau in diesem Moment zurück auf den Kreuzberg. Soooo unterlegen ist Berlin wohl doch nicht, im Vergleich zu NYC.

Und wenn es dann dunkel geworden ist am Kreuzberg, können wir gemächlich hinabsteigen und geraten getrost in eine gediegene Gaststätte zum gelassenen grübeln: Lieber einen geschmackvollen Gin Fizz im Galander, als gallige Güllebrühe in Guantanamo.

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12 Kommentare zu “Born to drink European

  1. f. ullrich sagt:

    Sehr spannende Geschichte, war ein richtiges Vergnügen für mich sie zu lesen. Übrigens schöne Seite, mach bitte weiter so!

  2. konniebritz sagt:

    Berlin, U-Bahnhof Wedding, mittags um 12.
    Maurer-Andy kommt gerade vom Arbeitsamt. In der U-Bahn macht er sich eine Flasche Bier auf, zur Nervenberuhigung. Da geschieht es:
    Ein grün Uniformierter steht breitbeinig vor ihm,
    greift an den Pistolenhalfter,
    zieht die Waffe heraus,
    richtet sie auf Andy und…

    Peng! Ich sitze kerzengerade in meinem Bett. War nur ein Traum. Amerikanische Verhältnisse gibt es in Berlin noch nicht…

  3. eichiberlin sagt:

    Puuh, in Norwegen muss sowas aber auch sehr teuer werden, bei den dortigen Getränketarifen.
    Von den Niederlanden habe ich das nicht gewusst und bin entsetzt!

  4. kormoranflug sagt:

    Keine Norweger-Privatparty in meiner Wohnung! Igitt, wer macht den sowas?

  5. richensa sagt:

    In den Niederlanden und Norwegen beispielsweise ist das Trinken im Freien auch nicht gestattet, wie mir zwei ausgewanderte Freundinnen erzählten. Die in Norwegen hat nun dasselbe Dilemma mit dem draußen-Rauchen-müssen-bei-schlechtem-Wetter-ohne-Allohol. Eine Lösung ist die Privatparty, bei der sie immerhin alle wie die Schlote eine Wohnung zuqualmen und dabei trinken dürfen/müssen.

  6. lakritze sagt:

    Ich werde nie vergessen, wie wir den Amerikaner (NY) durch die historische Altstadt, zwei steinalte Kirchen und auf einen sehenswerten Höhenzug geschleift hatten. Und Was war es dann, was ihn zu Begeisterungsstürmen hinriß? Der Weihnachtsmarkt. Open air gluhwine.

  7. eichiberlin sagt:

    Das ist natürlich die ganz hohe Schule (im doppelten Sinne) des Gin Fizz. In dieser Form müsste der Drink doch optische, wie geruchliche Prüfung bestehen und als Limonade durchgehen, oder?

  8. karu02 sagt:

    Klasse Bericht! Davon wusste ich bisher nichts.

  9. eichiberlin sagt:

    🙂 Das Zitat stammt von einem der legendärsten Martini-Trinker, Zigarren-Raucher und Lebemänner, dem Schauspieler und Comedian George Burns: „I never go jogging, it makes me spill my Martini.“

    George Burns wurde über 100 Jahre alt.

  10. B@rGeist sagt:

    Schöner Bericht!!!
    In einer anderen Angelegenheit.
    Dein Zitat in der Blog-Überschrift „Ich jogge nie, ich würde sonst meinen Martini verschütten!“ kenn ich und es will mir verflixt nicht einfallen wo her. Würdest Du mir auf die Beine helfen, und mir verraten, von wem es stammt. Ich danke Dir.
    B@rGeist

  11. bunnyberlin sagt:

    ja, oder ne braune papiertüte drum. weiß kein mensch, was drin ist ‚-)

    die spinnen, die amis, mit ihren albernen „open container laws“. ich bin in nyc schon mit bier unterm mantel versteckt vor die tür geschlichen (aus dem deutschen lokal lorelei, wohlgemerkt, das sich aber natürlich trotzdem an die landläufigen regeln halten muß), denn drinnen rauchen darf man nicht, draußen darf man nicht trinken. da ich seinerzeit noch gelegenheitsraucherin — sprich, nur in verbindung mit allohol — war, hatte ich nicht das geringste interesse, bei 3˚C draußen ohne bier zu qualmen. not macht erfinderisch. aber die amis spinnen in der hinsicht trotzdem. in PA kann man zum glück seit einigen wenigen jahren sogar am tag des herrn alkohol kaufen (freilich nicht ohne eine schlechtbesuchte demo der hiesigen religionsknallköppe)!!!!! DAS ist fortschritt…

  12. Bastian sagt:

    Mein Tipp: Leeren Colabecher inkl. Eiswürfel, Deckel und Trinkhalm bei McDonalds mitgehen lassen, im Hotel (nun ja in meinem Fall wars die Jugendherberge) mit Gin, frisch gepresstem Zitronensaft, Zuckersirup und Soda auffüllen, gut versiegeln und los geht’s. So hab ich vor einigen Jahren den fantastischen Ausblick vom Empire State Building in einer kristallklaren Nacht genossen…;-)

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