Eine Bereicherung für alle Sinne und für Berlin: Das 5- Cinco by Paco Pérez im Hotel Das Stue in Tiergarten bereichert die wachsende Berliner Gourmetkultur auf ungewöhnliche und erfreuliche Weise. Unter der Patenschaft des spanischen Meisterkochs kocht das Team im Designhotel „Das Stue“ mit zeitgemäßer Kreativität und akkurater wie origineller Präsentation.
Die Zahl Fünf bringt die Idee zum Ausdruck, das alle fünf Sinne im Rahmen eines Menüs angesprochen, stimuliert werden sollen. Auch der Raum trägt dazu bei. Glücklicherweise sind die Zeiten allmählich vorbei, in denen barocke Wandgemälde, schwere Vorhänge, womöglich mit Lilienmuster, und altbackene pseudo-royale Bestuhlung die Besucher der gehobenen Gastronomie umgibt. Modernes Design in Raum und Geschirr und professioneller Service, der mit angemessener Lockerheit auch mal einen Scherz über die Lippen bringt, so sieht zeitgemäßer, urbaner Genuss aus. Reinstoff, Facil, Restaurant Tim Raue oder Rutz Weinbar machen es vor. Glücklicherweise macht das Cinco mit.
Der Raum ist schön. Großzügig angelegt und doch intim, deutliche Lichtakzente und doch atmosphärisch abgedunkelt. Als zentraler Hingucker wirkt die kupferne Topf-Decke über der zentralen Tafel. Rings herum umgeben weitere Tische in kleinen Nischen den Raum. Fenster und Spiegel geben den Blick in die Küche frei. Der Empfang und der Service wirken ab und an noch nicht hundertprozentig eingespielt, aber ausgesprochen freundlich und charmant.
Die Homepage des Hotels zitiert Paco Pérez, der unter anderem bei Michel Guèrard und bei Ferrán Adrià arbeitete, dem Magier der Molekular-Küche, mit den Worten: „Wir wollen dem Gast ein Erlebnis bieten, bei dem er nicht während, sondern über das Essen redet – weil er permanent überrascht wird.“ Grund genug, das Überraschungsmenü zu bestellen, Experience Menu genannt, zu 140 Euro. Um die 22 Gänge erwarten den Gast, der wählen darf, ob er die Übersicht der Gänge als Karte an den Tisch bekommt, oder sich durchgängig überraschen lassen möchte und die Übersicht erst nach dem Ende des Abends überreicht bekommen mag. Ich wollte die Überraschung, meine Begleitung bestand auf der Übersicht.
Nach einem Cava als Aperitif begann eine einigermaßen (manchmal zu) zügige Abfolge von Tellerchen. Beiläufig anmerkte ich gegenüber meiner charmanten Begleitung, wie erfreulich opulent doch die Zahl der Grüße aus der Küche daher kommt. Die Informierte Dame überraschte mich, den Überraschten, mit der trockenen Information, dass es sich bereits um die ersten vier Gänge gehandelt habe. Oha. Die kleinen Happen mit einem molekularen Whiskey Sour mit Passionsfrucht, einer Inszenierung von Steinpilz und Kastanie und einem köstlichen Minzsüppchen schmeckten großartig und ließen die Gaumensäfte in einer Sehnsucht nach mehr in Wallung geraten. Die Sinne werden gefordert und auch der Humor kommt nicht zu kurz. Beispielsweise in Form der Dunkin´ Foie gras, serviert in Form eines Mini-Donuts. Großartig auch der Gang mit dem Namen „Jamon Jamon“, bei dem der Schinken in Form eines hauchdünnen Chips und passendem Gelee gereicht wurde. Ich gehöre ja anscheinend zu den wenigen, die sich nach wie vor für molekulare i-Tüpfelchen begeistern können und so amüsierte mich der Carbonara-Gang mit den Ei-Perlen auf Zuckerwatte sehr. Essen durfte man ihn mit den Händen. Jeder Happen kam auf einem eigenen Teller oder Gefäß daher und sorgte somit gleichsam optisch für die Inszenierung des jeweiligen Gangs.
Ungefähr zur Mitte des Menüs hatte die neugierige Lust auf die Speisen kontinuierlich weiter zugenommen, allerdings fürchtete unser Tisch um das Sättigungsgefühl. Als der Gang „Dim Sum vom Kalamar“ doppelt gebracht wurde, waren wir zunächst eher froh. Jedoch nur für einen kurzen Moment. Gnadenlos räumte die Bedienung die Teller wieder ab, all unser Flehen ward vergebens. Glücklicherweise ließen die folgenden Teller das Erlebnis rasch vergessen machen. Das „Cannelón vom Kaiserling“ schmolz auf der Zunge und das „Arroz Meloso vom Hummer“, eine Art spanisches Risotto, machte gierige Lust, davon eine ausgewachsene Portion nachzuordern.
Nach Rotbarbe, Ente und einem Cornetto mit Blauschimmelkäse folgten die Dessertgänge, bei denen erneut molekulare Ideen dafür sorgten, dass vieles überraschend anders schmeckte, als es aussah. Mit Schäumen, Watten, Perlen und Gelees wurde der Geschmack bezaubert und das Mundgefühl trug zum Erlebnis auf spannende Weise bei.
Durch das gesamte Menü hindurch wurden tatsächlich alle Sinne und auch alle Geschmackszonen der Zunge angesprochen. Was das großartige Essens-Erlebnis im Cinco so außergewöhnlich machte, war die besondere Betonung von süßen Elementen. Damit wir uns nicht missverstehen: Das Menü bestand nicht aus 22 Süßspeisen, nein. Aber im Zusammenspiel und in der Balance aus Sauer, Bitter, Salzig, Umami und Süße, spielte Letztere eine ungewöhnliche, eine besondere Rolle. Dieses Zusammenspiel machte das Menü zu einem Unvergesslichen, wie ich es bislang selten erlebte. Zu dem Erlebnis zählten auch der überdurchschnittlich angenehme und freundliche Service und die opulente Weinkarte. Besonders ausgeprägt ist selbstverständlich der Anteil an spanischen Erzeugnissen. Erfreulich fair kalkuliert sind viele der Flaschen, wobei natürlich auch das Raritäten-Segment mit Namedropping-Weingütern verzeichnet ist. Persönlich halte ich spanische Albarino Weine für sehr anpassungsfähige Essensbegleiter, die gerne auch über mehrere Gänge hinweg funktionieren. Der Leirana Albarino machte dabei keine Ausnahme und war mit 39 Euro angemessen bezahlbar.
Allerdings bleib auch der Wermutstropfen nicht aus. Wie leider viel zu oft eben bei den flüssigen Momenten des Aufenthaltes. Dass eine 0,75 Liter Flasche Wasser mit acht Euro zu Buche schlägt, muss man mittlerweile flächendeckend in der Sternegastronomie hinnehmen. Zähneknirschend. Dass man den Sommelier um eine glasweise Rotweinempfehlung bittet, findet sich mit 15 Euro für 0,1 Liter auf der Rechnung wieder. Die Balance bezüglich der Flaschenpreise ist dahin und die Zähne knirschen schon etwas lauter. Ein, für mich, beständiges Ärgernis in der gehobenen Gastronomie, sind die teilweise nicht nachvollziehbaren Preise von Aperitif und Digestif. Die Tücke liegt meist darin, dass man sie angeboten bekommt – und auch bestellt – ohne den Preis zu erfahren. Wir sind in einem spanisch geprägten Restaurant. Voller Vorfreude auf einen hoffentlich großartigen Abend. Wenn der Service nach Aperitifwünschen fragt und dabei hinweist, ein ungewöhnlicher Cava wäre im Ausschank, so bestellt man freudig zwei Gläser des empfohlenen Schaumweines. Und auch wenn der d’Agusti Torello Kripta Gran Reserva womöglich einer der interessantesten Cavas der iberischen Halbinsel ist und auch wenn die Flasche sehr ulkig geformt ist, so bin ich doch ein wenig irritiert, wenn das Glas nachher auf der Rechnung mit 22 Euro zu Buche schlägt. Jetzt schmerzen die Zähne und man nimmt sich vor, zukünftig misstrauisch zunächst Preise zu erfragen oder Aperitif und Digestif gänzlich zu entsagen und dafür lieber eine gute Cocktailbar aufzusuchen. Wie auch immer, es mindert Vertrauen und Vergnügen vor Ort.
Ich möchte ganz bald erneut die köstlichen Überraschungen von Paco Pérez erkunden und bin heute noch in glücklicher Erinnerung und gleichzeitig bereits in zungenschnalzender Vorfreude auf die nächsten glücklichen Momente einer ultimativen Gaumenstimulation. Bei den Getränken werde ich halt inquisitorischer nachhaken. Sei´s drum. Give me Five, Senor Pérez!
Das 5- Cinco by Paco Pérez im Hotel Das Stue
Drakestraße 1
10787 Berlin
Stimmt. Ich finde diese Designidee auch großartig, zumal durch die dezente Spiegelwirkung und Lichtreflexion der Kupferton intensiv zur Atmosphäre beiträgt.
Das Restaurant sieht cool aus. Die Töpfe und Schüsseln an der Decke finde ich, ist eine geniale Idee.
Gerüchte besagen: in Lichterfelde spricht man Drake wie einen britischen Admiral aus, in Tiergarten wie einen Berliner Bildhauer. Oder umgekehrt? Oder überhaupt gar nicht?
Ich bin ein begeisterter Fan des Dos Palillos. Dort am Tresen, mit Blick in die Küche der nächsten Überraschungen zu harren ist großartig. Da ich die asiatische Küche liebe, kommen dort zudem einige Faktoren zusammen, die mich regeläßig begeistern. Mein Blogeintrag ist zwar bereits etwa älter, besitzt aber immer noch eine gewisse Gültigkeit, bestätigt durch zahlreiche Folgebesuche (https://eichiberlin.com/2010/05/24/nachtschwarmer-im-wan-tan-tapas-diner/).
Das Dos Palillos verlasse ich in der Regel angemessen gesättigt. Im Cinco war es an der Grenze. Bei dem anschließenden Barbesuch (der Digestif wurde ja anderswo eingenommen), griffen vier Hände immer wieder eifrig in die Schalen mit den dargeboteten Knabberwaren…
Och nach 18 Gängen im Dos Palillos waren wir satt. 🙂
Ah, sorry, bei Drakestraße kam die Erinnerung an einen Grillteller beim Lichterfelder Jugoslawen hoch. Das ist ja so ne Grilltellerecke da…
Nee, Tiergarten. Andere Drakestraße.
Und wie sah es am Ende mit der Sättigung aus?
Sehr schön. Und das in Lichterfelde. Kennst du eigentlich das Dos Palilos in Mitte?