Ein kleiner, agiler Mann mit schwarz-grauen Haaren betritt die Bühne und benötigt gerade einmal 30 Sekunden, um den ausverkauften Saal in seinen Bann zu ziehen.
Es ist Ferran Adrià, der beste Koch der Welt aus dem besten Restaurant der Welt. So zumindest steht es auf dem Einband des Buches, welches hier präsentiert wird. „Ein Tag im elBulli“, dem Restaurant, das 2 Millionen Reservierungsanfragen im Jahr aus aller Welt erhält, aber nur 8.000 Plätze vergeben kann.
Es geht um eine kreative Art zu kochen, die unter dem Namen Molekularküche in Deutschland beliebtes Opfer von Häme und Spott ist. Überhebliche Kritiker und träge Küchenchefs verdammen sie nur allzu gerne, die Technik, die Kochzutaten verändert, verwandelt, manipuliert, um den Konsumenten zu verwirren und zu überraschen. Neugierige, kreative und experimentierfreudige Köche trauen sich kaum, den Begriff „Molekularküche“ zu verwenden, ihn gar auf die Karte zu schreiben. Dabei experimentieren so viele Restaurants weltweit mit den verschiedenen Techniken und bereichern somit ihr Angebot, ohne gleich ein Dogma daraus zu machen.
Wird es Ferran Adrià gelingen, die skeptischen Deutschen zu öffnen, sie neugierig zu machen? Gerade hier in Berlin, wo die kulinarische Tradition nach deftig, nach Fleisch und nach viel davon, verlangt.
Eichi hat Glück und sitzt in der ersten Reihe. Aus der Nähe spürt man die Energie und Leidenschaft des Meisterkochs und sieht das Funkeln in seinen Augen. Hier wird kein routinierter Vortrag heruntergeleiert. Es steckt Herzblut in der Materie, die mit Bildern auf der Leinwand begleitet wird, da sonst das Vorstellungsvermögen des Zuhörers überfordert wäre.
„Ein Spiegelei ist etwas sehr komplexes, vor allem, wenn es gut gemacht ist!“
Auf dieses Statement war der Saal nicht recht vorbereitet und auch nicht auf den an den Moderator vorwurfsvoll formulierten Wunsch nach einer Berliner Currywurst.
Rasch zeigt sich neben dem Koch auch der Designer, der Kreative, der Künstler, der Philosoph.
„Wenn wir nicht essen, sterben wir. Es gibt keine andere kreative Disziplin, bei der das auch geschieht.“
Adrià berichtet von der Documenta in Kassel und erzählt, wie die Künstler dort begierig waren, sich etwas kreatives einverleiben zu können. Er berichtet, wie er eine Sprache erzeugen wollte, wie Japan ihn inspiriert hat, wie er versucht hat, die dünnste Masse der Welt für Ravioli oder Dim Sum herstellen wollte, musste. Und dass Essen ein Erlebnis sein kann, ja soll.
„Avantgardeköche haben vergessen, die Gefühle zu erklären, aus denen ihre Gerichte hergestellt sind.“
Adrià mag es nicht, wenn ein Gericht für gut und erstrebenswert befunden wird, nur weil die Zutaten teuer sind. Als Beispiel nennt er Kaviar, Langusten, Champagner. Er beschreibt die Freude an einem frischen Brot von einem guten Bäcker, vor allem die Ecke der Kruste, die er sofort nach dem Kauf essen mag.
Der experimentale Charakter dieses quirligen Mannes darf natürlich nicht fehlen. Er beschreibt seine sonderbarsten Kreationen (ein Stickstoff Ballon mit weissem Tomaten-Mousse in konzentrierter Tomaten-Hülle oder ein Mousse aus geräuchertem Wasser)und seine Entdeckungen:
„Begonienblüten schmecken sehr gut“
Und natürlich den Moment 1994, wo er einen frischen Saft serviert bekam und über den Schaum oben darauf sinnierte, was ihn zum Erfinder des „Espuma“ werden liess, geleitet von dem Gedanken, warum nicht einige Zutaten in einen Schaum transferieren?
Wir haben Glück mit dem Dolmetscher, dem es gelingt, die Sinnlichkeit ins Deutsche zu übertragen. Ich selbst entwickele das unstillbare Verlangen, die Gerichte, die in Bildern auf der Leinwand dargeboten werden, verkosten zu wollen und zu erfahren, welche sensorischen und kulinarischen Impulse sie wohl auslösen mögen. Wie komme ich nur jemals an eine Reservierung, an einen Abend im el Bulli?
Ferran Adrià signiert im Anschluss noch lange sein neues Buch. Es wirkt wie ein Vermächtnis, der Blick auf den Tag im el Bulli auf beiden Seiten des Tresens. Eindrücke, Rezepte, Geschichten und Philosophie. Verpackt in ein aufwändig produziertes Buch, das auch sehr schwer ist. Lang ist die Schlange der Signatursuchenden, die mit dem dicken Wälzer in Händen eine Körperertüchtigungseinheit abliefern müssen. Eichi auch.
Am Ende muß jeder für sich entscheiden, ob diese Art der Küche erstrebenswert ist, oder als Modeerscheinung abgehakt werden will. Am Ende bleibt der Künstler als Mensch und ein Ferran Adrià, der uns wissen läßt:
„Nichts geht über ein Spiegelei!“
Danke schön, lieber Kraska. Alleine mein Spanisch ist zu desolat. Vielleicht tauche ich einfach im Resto auf und behaupte entschlossen, reserviert zu haben. Ob´s klappt??
Vielleicht bekommst Du einen Tisch, wenn Du F. A. eine Übersetzung Deines Artikels schickst? Appetitlich und mit Witz geschrieben!
Wie wäre es mit sphärisierten Ravioli?
http://www.focus.de/kultur/leben/kunst-am-herd_did_17506.html
Du hast mir einen ganz anderen Blick auf die verfemte und geschmähte Molekularküche eröffnet. Gracias.
Aber Spiegelei und Currywurst schon 😉
Wörter wie „Schaum“, „Ballon“ und „konzentrierte Tomaten-Hülle“ lassen mir nun nicht direkt das Wasser im Munde zusammenlaufen, aber interessant klingt das schon.