Jail (Kreuzberg)

Mein Lieblings Gefängnis. Hier ist prächtig einsitzen. Wer sich traut zu klingeln erhält ein gestreiftes Hemd, eine Nummer und wird am Tresen angekettet. Nein, halt, ich scherze nur.

Die Insassen sind freiwillig hier und versammeln sich um den Tresenblock, der die Raummitte ausfüllt. Schwarze Decke, rote Wände. Zahllose Bandplakate. Musik wird aufgelegt: Ska, Punk, Rockabilly, Soul, Reggae. So ist auch das Publikum. Hier Ducktails und Sideburns, da weiße Schminke, schwarzes Leder, silberne Ketten.
Zwischen Eingang und Tresen sind ein paar lederne Sitzgruppen. Darauf sitzen in letzter Zeit immer mehr Gruppen aus GB/USA und trinken Jägermeister. Steht das Jail etwa im Lonely Planet? Mist!
An Flaschenbier wird Becks und Astra gereicht. Hmm.

Ich denke immer, ich bin im ruhigen Séparée vom „Wild at Heart“.
Ein guter Ort, um Nachts um drei noch auf einen Absacker einzubuchten. Hat man seine Zeit abgesessen, wird man auf Bewährung entlassen. Obacht Gefahr: Der Laden ist komplett abgedunkelt. Gleißendes Sonnenlicht blendet bisweilen extremst, beim Verlassen des Zellentraktes.

Dieses Jail-Haus rockt.

Ohlauer Straße 3, 10999 Berlin-Kreuzberg
www.myspace.com/jail_bar

Rum Trader (Wilmersdorf)

Ich übertreibe maßlos, wenn ich diese Bar eine Legende nenne.

Ein seltsam Retro-60ies anmutendes Einkehrobjekt im Eckgebäude an der Fasanenstraße, an dem eine Rumrelevante Fahne weht, die signalisiert, dass geöffnet ist. Klein ist es hier. Platz für sieben Menschen am Tresen (plus erhöhte Bank für zwei Wichtige Personen, falls sie kommen). Ein Tisch in einer ghettoisierten niedrigen-erniedrigenden Nische mit Sitzgelegenheit für 4-7, Garderobe, diverse Quadratzentimeter weiterer Stehraum für Nachrücker.
rum trader
Wer wagt – klingelt.
„Ah, schön Sie zu sehen. Hatten Sie heute wieder im Kohlenkeller zu tun?“ So lautet eine freundliche Begrüßung eines willkommenen Gastes, der nur mittelmäßig gewandet zu erscheinen wagt. Darauf erstmal einen Drink. Ich empfehle: Rum Sour oder Mai Tai (Stufe zwei, danach drei – es gibt mehr) zur Orientierung, Akklimatisierung.
Auf unterhaltsame Weise liefert man sich hier dem Connaisseur am Shaker, Herrn Scholl, aus.
Der Mann lebt seine Bar, er ist diese Bar. Er ist kultiviert, irgendwie brillant; mixologisch einwandfrei sortiert; er verfügt über eine Barbibliothek welche jeden historischen Drink bestellbar macht, er gewinnt jeden dichterischen Rezitierwettbewerb. Er ist Twenties. Er ist ein Snob. Er ist ein ganz besonderer Gastgeber.

Er ist Zigarrenraucher. Herr Scholl hat in Karlsruhe geklagt und allen Berliner Tabakgenießern einen Gefallen getan.

Herr Scholl trat würdig die Nachfolge des legendären Herrn Schröder an. Hans Schröder hat noch im alten Adlon gelernt. Er war ein Lieblingsbarkeeper von Ian Fleming, den er in Berlin und auch in San Francisco bei dem legendären „Trader Vic“ Bergeron bemixt hat. Man sprach viel über Martini, Vesper Martini, geschüttelt, gerührt. Ian Fleming widmete Herrn Schröder im Angedenken an seine feinen Getränke eine Passage in dem Buch „Thrilling Cities“. Später wurde daraus „Octopussy“.
Irgend so eine Agentenserie, sagt man.

Ich nehme noch einen Sanctuary, oder einen Creole Swivvel. Herr Scholl erzählt mir die Geschichte dazu (wenn er nicht gerade etwas an meiner Garderobe zu bemängeln hat). Die letzte Bestellung macht er selbst: er bestellt ein Taxi für den Gast, der am nächsten Morgen die Frage stellt: ist mir das wirklich passiert? Es ist. Oder?

Glauben Sie mir nichts, denn alles ist nur ein Gerücht. Dennoch: die Legende, sie lebt, mixt, genießt, erzählt.
Und eigentlich habe ich gar nicht so sehr übertrieben…

Fasanenstraße 40, 10719 Berlin-Wilmersdorf

Sweden Shoppa (Wilmersdorf)

Da bildet man sich ein, der Große Kurfürst hätte 1675 nach der Schlacht von Fehrbellin die Schweden aus der Umgebung verjagt, und darf heute feststellen: Irrtum!

Heimlich, still und leise haben sie ausgerechnet in Wilmersdorf, gar nicht so weit weg vom Fehrbelliner Platz, eine neue Bastion errichtet. Diesmal glücklicherweise in friedlicher Absicht.

Bewaffnet mit Topflappen, Schweden-Clogs, Rentierfleisch und sehr würzigem Käse verschanzen sich die Nordmänner in einem Mini-Supermarkt mit ihren diversen Produkten aus Wolle, Milch, Fisch und Rentier.
Alles ist ziemlich durcheinander Weiterlesen

Brauerei Eschenbräu (Wedding)

„Ein Bier in der Not ist ein ganzer Laib Brot!“ Nun, es ist nicht die Not, welche den Bierfreund ins Eschenbräu führt, sondern die wahre Lust an der Bierfreude.

Notwendig ist zunächst ein geschärfter Blick, um den Eingang zum Untergeschoss eines Studi-Wohnheimes zu finden, in dem sich Brauerei und Ausschank einquartiert haben. Blitzeblank funkeln die Gärgefässe durch die Fenster und weisen den Weg.

Angekommen in dem rustikalen Keller, unspektakulär dekoriert mit einigen Flohmarktrelikten alter Brauereihinterlassenschaften, platziert sich auch eine grössere Runde an urig-massiven Brauhaustischen. Am Tresen plaudern die üblichen Verdächtigen Weiterlesen

Reingold Cocktailbar (Mitte)

Ein Klassiker der 90er Jahre wird modern wiederbelebt. „Treffpunkt im Unendlichen“ lautet das dominante Leitmotiv am Ende des langen Raumes. Ein riesiges Wandgemälde, vom Vorgänger übernommen, zeigt Klaus und Erika Mann.

Gemalt auf den Seiten des letzten Romans, den Mann vor dem Exil schrieb, eben „Treffpunkt im Unendlichen“.

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Die beiden waren berüchtigte Nachtschwärmer der 1920er und 30er Jahre und auf diese Epoche möchte das Reingold atmosphärisch und mixologisch Bezug nehmen. Gleichzeitig werden aktuelle Entwicklungen und Neuerungen der Barkultur ausprobiert.
Der elegante Tresen, die dezente Beleuchtung und der golden hinterlegte Barbereich sind dafür jedenfalls ein angemessener Rahmen.

Klassik trifft Moderne. Die Cocktail Karte zeigt das sehr deutlich: Der Martini kann auch als Martinez geordert werden, für die Zubereitung eines meiner favorisierten Klassiker „Sazerac“ stehen fünf Sorten Rye Whiskey zur Auswahl.

Für die Moderne stehen Molekulare Experimente á la „Sprizz Espuma“ und, dem derzeitigen Trend folgend, Cuisine Style Drinks mit Kräutern und Gemüsen. Überrascht und überzeugt hat mich dabei vor allem der „Pineapple Celery Boost“ mit Vodka, Bitters, Ananas und Sellerie.
Eine Kreation von David Wiedemann, der für den Neustart verantwortlich zeichnet und mit seinem jungen Team der Barschule Berlin die Tresenregie führt.
Vielversprechend ist seine Philosophie: Alle Sirups sind selbstgemacht. Alles Säfte sind frisch.

Eine definitive Neuerung in der Barszene ist ein „Tequila Sommelier“. Als „deutschlandweit einzigartig“ angepriesen, darf dieser bemitleidenswerte Mensch nun die Cocktail-Gemeinde davon überzeugen, dass Tequila, pur oder gemixt, etwas gaaaanz tolles ist. Na, viel Spaß.

Für diejenigen, die essenstechnisch mehr benötigen, als nur eine Selleriestange, gibt es eine Küche, deren kleine kreative Gerichte mit den Drinks harmonieren sollen.  Auf der Terrasse im historischen Innenhof ist der Tabakbereich.
Es gibt keine Happy Hour. Die Preise der Drinks liegen hauptsächlich zwischen 7,50 und 9,- Euro. Champagner Cocktails sind etwas teurer.
Pures Gold im Glase bietet das Reingold den Chapagnerliebhabern auch unvermixt. Glasweise ausgeschenkt wird Ruinart, weiß und als Rosé. Gute Wahl? Vielleicht die Beste!

Ab Ende September wird jeweils der Montag interessant. Dann wird ein Ruhetag zum Unruhetag unter dem Motto: „Triobar goes Reingold“. Dann wird die verschwiegene aber hervorragende Barkultur der „Triobar“ aus dem Versteck hervorkommen und die eher klassisch geprägte Drink-Stilistik schütteltechnisch darbieten.

Apropos klassisch: Wagners Arien sind nicht zu erwarten, dafür fehlt ein H im Namen der Bar. Ein musikalischer Direktor wird elektrofreie Musik einspielen. Im molekularen trend hip Zeitgeist Vokabular nennt man das hier „Ear Service“. Fein, fein.

Obwohl der Gedanke schon einen gewissen Reiz hat. Die Rheingold Bar: mit Wotans Mai Tai und Floßhilde Fizz.
Aber das ist ein anderes Konzept.
Freuen wir uns erstmal über den neuen, den alten „Treffpunkt im Unendlichen“. Cheers.

Novalisstraße 11, 10115 Berlin-Mitte
www.reingold.de

Bar am Lützowplatz (Tiergarten)

Eine Happy Hour kann durchaus zur Grimmig Stunde werden.

Eins vorweg: ich habe hier noch nie einen missratenen Cocktail erhalten. Die Damen und Herren hinter dem ewig langen Tresen verstehen ihr Handwerk. Aber Atmosphäre und zwischenmenschliche Schwingungen im Raum spielen auch eine Rolle.

So fein die Drinks abgestimmt sein mögen, man wünscht dem Personal in ihrem Miteinander das gleiche.
Es ist also Happy Hour. Auf der Terrasse ist gut gefüllt. Am Tresen nur 6-7 Gäste. Hinten, unter dem Dalai Lama Bild (wann kommt eigentlich Mao zurück, angeblich ist er aus künstlerischen Motiven verliehen worden?) eine grössere Runde in den Sesseln.
Soweit die Situation auf der nördlichen Seite des Tresens. Der Süden ist unruhiger. Das Lützowsche-Corps ist sich uneins. Dem einen ist das Licht zu hell, es wird abgedunkelt. Erzürnt stürmt ein Kollege herbei um uns wieder zu erhellen, danach wieder dunkler…
Musik befindet eine der Damen für zu leise, Volumen wird erhöht. Das Volumen in meinem Glas ist auf null – unbeachtet, dafür wird die Beschallung wieder herunterreguliert.
Das ist jetzt auch egal, da sich das Barkollektiv diesmal einig ist: der Orangensaftbedarf für den Rest der Nacht wird auf der Stelle im Voraus gepresst. An einer wirklich seeeehr lauten Maschine.

Diese Darbietung war gewiss recht unterhaltsam. Ursprünglich hatte ich mich irgendwie anders unterhalten wollen. Stattdessen Stressfaktor pur, dabei war noch nicht einmal „Trompeten“-Donnerstag, wo es richtig lästig voll wird.
Eine Ausnahme? Ich bin mir nicht sicher. Die Gast-Barmixer-Kommunikation ist hier öfters eher kühl.
Dabei könnte alles so schön sein. Der endlose Tresen; Qualität und Auswahl der Drinks (ich liebe die Champagner Kreationen); die frühen Öffnungszeiten mit langer Happy Hour.

Seltsame Vibrationen. Vielleicht hätte man das Kult-Bild nicht austauschen sollen. Gelegenheit für mich, einen politisch komplett unkorrekten Satz zu formulieren: Unter Mao habe ich mich viel wohler gefühlt, als unter dem ollen Dalai!

Ergänzung im November 2008: Juhu, Mao is back!

Lützowplatz 7, 10785 Berlin-Tiergarten
www.baramluetzowplatz.com/

Weltrestaurant Markthalle (Kreuzberg)

Es wäre auch ohne Herrn Lehmann gegangen. Nicht nur in Buch und Film, sondern auch in der wirklichen Welt ist der Schweinebraten mit Semmelknödeln eine wahre Wonne.

Jedesmal wieder lautet die Gewissensfrage: Braten oder Schnitzel, beides gut, beides um 11 Euro, beides solide handwerkliche Küche.
Es ist zudem eine frische Küche, tagesaktueller Mittagstisch mit zwei Gängen zu 7,50 wird geboten. Jeden Tag eine neue Suppe. Jetzt ist es aber bitte genug mit Hektik, Neuerungen, Veränderungen.

Der Zauber vom Weltrestaurant Markthalle liegt in der gelassenen Beständigkeit: Alles ist wie immer. Zeitlos. Unhip. Wundervoll.

Die alte Volksspeisehalle mit dunklen Wandpaneelen, Kerben in den Tischen, der düster blickenden Kreatur (nein, nicht hinterm Tresen) auf dem Weiterlesen

Le Lamian (Friedrichshain)

Ach wie schön, dass ich mich heute für chinesische Nudeln in den Friedrichshain begeben habe.
Neugierig, sehr gespannt, schritt ich, animiert von lobenden Berichten, in den nördlichen Teil der Simon Dach Straße, um das Lamian erstmals auszuprobieren.
Nun mag ich einstimmen in den Chor der gesättigten, zufriedenen und gar glücklichen, die in der weitestgehend kulinarischen Ödnis dieser Gegend eine Anlaufstelle gefunden haben.

Was für ein seltenes Glück in einem Stadtviertel, wo sich Kinder mit Körperbemalung bei klebrigen Burritos, halbherziger Pizza und Flaschenbier sättigen.
Sie gehen nicht ins Le Lamian – gut so!

Ein modern-minimalistisches Design mit weißen Wänden, roten Weiterlesen

Victoria Bar (Tiergarten)

Gibt es die Perfekte Cocktail Bar?
In diesem langen Schlauch von einem Raum ist man um jeden noch so komplizierten Gästewunsch bemüht und engagiert, auch wenn der Laden brummt, was gerade Freitag und Samstag der Fall ist. Neuerdings wohl auch Mittwochs?!?
Wer Hintergründe und Geschichten zu einzelnen drinks erfahren möchte, trifft hier auf beeindruckendes Fachwissen und amüsante Geschichten. Jeder hinter´m Tresen hat seine Spezialitäten.

Unter der Woche Feierabend Treff für traurige Tagesspiegel-Redakteure, Aperitiffreudige vor dem Dinner und Happy-hour-hopper. Ansonsten kommen die Gäste zuweilen von weit her, um hier spezielle Cocktailkunst (bisweilen, in der Wintersaison, auch Vorträge und Seminare, wenn zur „Schule der Trunkenheit“ geladen wird) zu genießen.

Zufällig kommt hier niemand her. Weil: Die Lage ist schon recht absurd, am Bordsteinschwalbenboulevard der berüchtigten Kurfürstenstraße („Na, Schätzchen, kann ich etwas für Dich tun?“ „Ja, bitte ruf mir ein Taxi.“)

Speziell sei diese Bar den Freunden der Klassiker empfohlen, die wissen, wie viel in einem trockenen Martini und einem Sazerac stecken kann. Freunde der bunten Blumenkübel mit Schirmchen drin mögen getrost wo anders hingehen.
Mittlerweile gibt es auch eine ordentliche keine Küche, die die nötige Getränkegrundlage schaffen hilft. Vorzüglich: Das Club-Sandwich.

Ich möchte einen Guyana Manhattan. Nein, lieber einen Pegu Club. Oder doch einen Prince of Wales aus dem Silberbecher?

Potsdamer Straße 102, 10785 Berlin-Tiergarten
www.victoriabar.de

Uma (Mitte)

Zwei Amerikaner am Nebentresen waren beinahe fassungslos: „Wie, es gibt keinen Reis? Ist dies nicht ein japanisches Restaurant?“
Ist es wohl, aber doch auch ganz anders.

Es ist aufregend, in der ersten Woche einer Neueröffnung Gast zu sein. Es ist eine besondere Atmosphäre. Es ist zu früh, um vor der Begleitung den routinierten Stammgast zu mimen. Sätze wie: „Sonst esse ich hier immer den….“, oder „Mit der …. kannst Du nichts falsch machen.“
Und: „Das Übliche!!“ geht schon gar nicht.
Alle dürfen sich neugierig und unbefangen umschauen und die Köche und Kellnerinnen mit Fragen löchern.
Aber jeder ist selbstverständlich extrem gespannt, wie Tim Raue Weiterlesen